Wir über uns


Selbsttausch

aus: thalasso wave, Hoppelpoppel Selfkill

Ich habe in der Buchtauschbörse mein eigenes Buch getauscht. Nicht dass ich ein Buch angefordert hätte, das ich selbst eingestellt habe. Das ist technisch nicht möglich. Nein, ich habe vielmehr ein Buch getauscht, das ich selbst geschrieben habe. Wie konnte es soweit kommen? Das ist eine lange Geschichte.

Vor ungefähr 24 Jahren, an einem Samstag, ging ich zur Fete eines guten Kumpels. Was essen, ein paar Bier trinken und anderen Leuten ein Ohr abkauen. Was man so tut an einem Samstagabend. Dort kam ich ins Gespräch mit einem Unternehmensberater, der völlig entspannt nach Feierabend wissen wollte, wie ich mein Geld verdiene, damit er mir zur Rechtfertigung seiner Existenz sagen konnte, wie man mehr daraus machen könnte - ausnahmsweise unentgeltlich.

Ich erzählte ihm, wie ich gerade eine Geschäftsidee realisiert hatte und damit in kürzester Zeit genug Geld zur Finanzierung meines Studiums machte. Damals trug man seine Meinung noch öffentlich und plakativ mit sich herum. Wenn man nicht gerade ein Transparent der letzten Friedensdemo dabei hatte, dann signalisierte man wenigstens mit einen an die Brust gehefteten Button, wie man es mit der Aufrüstung, der Atomkraft, der Politik im Allgemeinen oder der Umwelt im Besonderen hielt.

Jedoch hatte die Popularität des Buttontragens bereits abgenommen und das bevorstehende Ende des kalten Krieges machte es nicht mehr so dringend nötig, seinen Mitmenschen ungefragt die eigene Meinung aufzunötigen. Nach jeder Friedensdemo blieben Buttons kistenweise unverkauft. Ich kaufte die Überbleibsel der Meinungsbildung zu Pfennigpreisen auf, öffnete die Buttons mit einem kleinen Schraubenzieher und wechselte Bild oder Text gegen andere, populäre Inhalte aus und verkaufte sie weiter. Die Gewinnspanne war phänomenal, da ich nicht einmal eine teuere Buttonmaschine brauchte. Ich hatte mein Geschäft mit einer Anfangsinvestition von gerade mal 20 DM gestartet.

Der Unternehmensberater war von meinem Geschäftsmodell überhaupt nicht beeindruckt. Ihm fehlten in meiner Geschichte deutlich die sonst üblichen Phasen der Marktanalyse, Kreditaufnahme, Investitionslenkung und einige andere Tätigkeiten, die seinesgleichen unentbehrlich machten. Ohne nennenswertes Eigenkapital oder Bankkredite könne man einfach keine Idee zum wirtschaftlichen Erfolg führen. Meine Geschichte sei bestenfalls eine ökonomische Eintagsfliege.

Das ärgerte mich und ich bot ihm eine Wette an. Ich würde wiederum mit 20 DM Startkapital ein kleines Buch schreiben, mindestens 10 Exemplare drucken und erfolgreich vermarkten. Notwendige Gerätschaften durfte ich ausleihen, aber das Material und sämtliche Dienstleistungen mussten vom Startkapital finanziert werden. Unmöglich zu schaffen, darüber waren sich alle einig. Mein größtes Problem war jedoch der Inhalt. Was sollte ich schreiben?

Kristiane Allert-Wybranietz kam mir mit ihrem Gedichtband "Trotz alledem" bei meiner Entscheidungsfindung unwissentlich zur Hilfe. Die zu dieser Zeit populären Verschenktexte der Autorin waren für mich ein doppeltes Ärgernis. Zu einem, weil man die Texte - wie der Name sagte - gut verschenken konnte, aber sie zu diesem Zweck kaufen musste - zum anderen, weil der Preis mit 16 DM für 62 Seiten recht heftig ausfiel.

Also sagte ich nicht, was man beim Anblick moderner Kunst oder einer raffinierten Geschäftsidee gerne äußert: "Das hätte ich auch gekonnt!" Sondern ich machte es, aber viel preiswerter. Ich begann die gleiche Art moderner Gedichte zu schreiben, knappe Aphorismen, die Versmaß und Reim gleichermaßen entkommen waren. Zwei Wochen später hatte ich über 100 Gedichte auf einer geliehenen Kugelkopfschreibmaschine getippt, die besten zusammengestellt, mit ein paar Zeichnungen auf eine Vorlage geklebt und mittels eines Fotokopiergeräts 20 Exemplare eines kleines Heft mit 36 Seiten hergestellt. Der Umschlag war aus einem marmorierten Karton, damit es nicht zu billig aussah.

Mit meiner Kleinstauflage ging ich zur Bonner Buchhandlung Behrendt, die so freundlich war, das kleine Heft neben die Kasse zu legen und zum sagenhaften Preis von 2 DM zu verkaufen. Nach 2 Tagen war die Startauflage vergriffen, ich hatte die Wette gewonnen und nach Abzug des Buchhändlerrabatts und der Papier- und Kopierkosten 8 DM Gewinn gemacht.

Die Sache hatte soviel Spaß gemacht, dass ich sofort eine weitere Auflage herstellte und diese wiederum verkauft bekam. Zur dritten Auflage meinten meine freundlichen Buchhändler jedoch, ich solle bitte richtige Quittungen mit Mehrwertsteuer ausstellen. Und eine ISBN wäre auch nicht schlecht. Mit 10 DM ging ich zum Ordnungsamt und gründete einen Verlag, beantragte eine ISBN und ließ die 4. Auflage in einer Druckerei drucken. Ich dachte mir noch eine einfache Methode aus, das kleine Buch so zu heften, dass es nicht mehr wie eine Broschüre aussah, sondern einen richtigen Buchrücken hatte.

Zwei Jahre später war die 6. Auflage vergriffen, 4 weitere Bücher waren erschienen, meine Gedichte wurden in Zeitungen gedruckt, meine Kurzgeschichten im Radio gesendet, ich wurde zu Dichterlesungen und Autoren-Workshops eingeladen und ich veröffentlichte meine erste Fantasy-Novelle. Ich konnte sogar davon leben, allerdings nur knapp. Meine einzige Werbung waren kleine Verschenkbücher im Format DIN A8, die ich aus Produktionsabfällen und unbedruckten Randabschnitten herstellte und tatsächlich verschenkte.

Allerdings musste ich feststellen, dass der eingangs erwähnte Unternehmensberater langfristig doch Recht behalten würde. Über einen gewissen Bekanntheitsgrad kommt man ohne Marketing und Vertriebsstrategie nicht hinaus. Und genau das macht den Unterschied zwischen einem guten Buch und einem Bestseller aus.

Ich traf weit berühmtere Kollegen, die nicht mal so viele Bücher verkauft hatten wie ich - und nur deshalb über die Runden kamen, weil ihre Bücher sehr teuer waren. Auch dass der Suhrkamp Verlag eine Kurzgeschichte und meine Fantasy-Novelle (meine einteilige Trilogie) nachdruckte, half nicht viel weiter. Die besten Kritiken nützen wenig, wenn sie nicht im Spiegel stehen oder im Fernsehen von einem Literaturpapst verkündet werden.

Schließlich stellte ich mir äußerst erfolgreich selbst ein Bein. Ein befreundeter Verleger fragte mich einmal, wie ich meine Bücher so preiswert herstellen könne, allein der Satz müsse doch schon zu teuer sein. Überhaupt nicht, antwortete ich, denn ich hatte mir ein einfaches Satzprogramm für den damals populär werdenden PC selbst geschrieben. Ob man das kaufen könne?

So stellte mein Verlag immer mehr Software und immer weniger Bücher her. 10 Jahre nach dem ungewöhnlichen Debüt erschien das letzte Buch in gedruckter Form. Seitdem veröffentliche ich im Internet - ungebunden und unschlagbar preiswert.

Vor zwei Jahren fand ich beim Aufräumen im Keller eine Kiste mit Restauflagen meiner Bücher: unverkäuflich, vom Zeitgeist überrollt. Als Tauschware eigneten sie sich nicht so recht, weil sie ja noch einfacher und preiswerter als ein Taschenbuch waren (Verkaufspreis 1 bis 2 Euro). Also legte ich ab und an welche als kostenlose Zugabe den getauschten Büchern bei.

Bis ich dann eines Tages feststellte, dass einige Tauschpartner diese kostenlosen Zugaben wieder in die Tauschbörse einstellten. Das war eher amüsant, denn die Erfolgsaussichten waren denkbar gering. Dabei fand ich allerdings ein Bändchen, das keine Zugabe gewesen war, weil ich längst keine Exemplare mehr davon hatte.

So tauschte ich ein Buch, das ich selbst geschrieben hatte, von dem nur 4.000 Exemplare gedruckt wurden und das seit über 20 Jahren vergriffen ist. Ich hätte nie gedacht, dass überhaupt noch ein einziges Exemplar existiert.

© 2010 www.simon-verlag.de

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